Dietmar Gessner und Bernhard Jungwirth - 10.07.2023
Zweiradspezialist Franz Tepe fordert, die Infrastruktur den enorm steigenden Verkaufszahlen bei Elektrofahrrädern anzupassen. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland spricht er außerdem darüber, warum der Run auf E-Bikes auch nach der Pandemie anhalten wird und warum Elektrofahrräder vor allem auch Chancen im urbanen Raum bieten.
RedaktionsNetzwerk Deutschland: Herr Tepe, wird mit dem Beherrschen und Abflachen der Corona-Pandemie der Boom im E-Bike-Bereich enden?
Franz Tepe: Nein, Corona hat die ohnehin vorhandene hohe Nachfrage nochmals getrieben. Viele Menschen wollten die Ansteckungsgefahr, die Enge in den öffentlichen Verkehrsmitteln vermeiden und sind deshalb aufs Rad umgestiegen. Aber auch nach Corona wird sich der Trend fortsetzen.
Worauf gründen Sie diesen Optimismus?
Auch vor Corona gab es im Bereich E-Bike bereits ein enormes Wachstum. 2018 wurden in Deutschland etwa 980.000 E-Bikes verkauft. 2019 waren es über 1,35 Millionen. 2020 sind in Deutschland etwa zwei Millionen E-Bikes abgesetzt worden. Diese Entwicklung wird so weitergehen weiterhin auf hohem Niveau. Denn, das ist für uns nahezu ständig zu beobachten, wer erstmals auf das E-Bike steigt, der lacht. Der zentrale Kern des Phänomens E-Bike ist nämlich: Es macht Spaß.
Weniger Spaß macht die mangelnde Infrastruktur für Radfahrer, gerade im urbanen Raum. Was fordern Sie von der Politik?
Die Politik muss unbedingt am Ausbau und an der Verbesserung der Infrastruktur arbeiten. Radwege müssen teils breiter werden. Man muss die Gegebenheiten der weiter wachsenden Menge der Nutzer anpassen. Ich spreche hier nicht gegen das Auto, ich bin selbst begeisterter Autofahrer. Aber ich spreche von einer neuen, einer zeitgemäßen Form der vernetzten Mobilität, in der es darum geht, schnell und sicher von A nach B zu kommen. Da ist ein Auto in den urbanen Räumen oft nicht die richtige Lösung. Das E-Bike wird ein zentraler Bestandteil der Mobilitätswende.
E-Bike statt Auto, kann das für städtische Bereiche tatsächlich ein realistisches Szenario werden?
Wie schon erwähnt: Ich bin begeisterter Autofahrer. Aber entscheidend ist, was wo richtig ist. 80 Prozent der Autofahrten sind gerade mal sieben Kilometer lang, die Wege zur Arbeit bis 15 Kilometer. Das sind perfekte Streckenlängen für ein E-Bike. Hier liegt enormes Potenzial. So hat die Stadt Berlin verkündet, möglichst schnell autofrei werden zu wollen. Denn der zur Verfügung stehende Raum wird nicht größer. Immer mehr Menschen ziehen in die urbanen Räume und wollen mobil sein. Der Raum für Mobilität bleibt aber gleich. Soll in diesem Raum ein Auto 23 Stunden ungenutzt an der Straße stehen? Das ist nicht sinnvoll.
Zur Person: Franz Tepe (60) ist Leiter Marketing und Werbung der Zweirad-Einkaufsgenossenschaft (ZEG) mit Sitz in Köln. In der ZEG sind über 1000 Fahrradhändler organisiert. Damit ist die 1966 gegründete ZEG der größte Verbund von Zweiradhändlern in Europa und tritt seit 1983 auch als Hersteller eigener Radmarken auf.
Ärgerlich sind die aktuell teilweise extrem langen Lieferzeiten von bis zu über einem Jahr bei Zweirädern. Auch, weil viele Bauteile in Asien produziert werden. Wird das mittelfristig wieder besser oder immer schlimmer?
Bisher bremsen die Lieferzeiten die Nachfrage nicht. Inzwischen siedeln sich aber auch wieder Rahmenbauer und andere Unternehmen unserer Branche in Europa an. Wir von der ZEG produzieren zum Beispiel sehr viel in Deutschland und in der Schweiz. Unser Kettler Werk im saarländischen Hanweiler wird massiv ausgebaut. Im Übrigen betrifft dieses Problem nicht nur die Fahrradbranche.
In E-Bikes ist inzwischen enorm viel Technik verbaut. Droht da eine latente Überforderung für Werkstätten?
90 Prozent der E-Bike-Kunden legen extrem viel Wert auf ganz hochwertigen Service. In unserer ZEG-Akademie rufen wir daher die Händler regelmäßig zusammen, um sie auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Das ist ganz wichtig. Wir lassen unsere Händler darüber hinaus durch den TÜV Nord zertifizieren. Vor diesen Prüfungen gibt es großen Respekt. Wir haben schon 2014 ein Werkstattqualitätsprogramm konzipiert, schmuggeln so unerkannt Räder mit zehn Fehlern in die Werkstätten. So erkennen wir, wer den Qualitätsansprüchen genügt.
Womit wir beim so wichtigen Punkt Sicherheit wären.
Gerade Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Räder per Leasing und Gehaltsumwandlung zur Verfügung stellen wollen, fragen zuerst: Wie stellen Sie sicher, dass meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit sicheren Rädern unterwegs sind? Das ist im E-Bike-Bereich wie beim Mietwagen: Der Kunde erwartet ein Fahrzeug, an dem alles top ist. Rechtlich ist der Arbeitgeber für die technische Sicherheit der E-Bikes verantwortlich, die er als Leasing-Räder zur Verfügung stellt.
Sie rüsten die Deutsche Post mit Rädern aus, auch Kommunen öffnen sich dem Rad-Leasing-Modell für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wie elementar sind diese Engagements für eine erfolgreiche Verkehrswende?
Wir sehen eine hohe Nachfrage, ein hohes Wachstum. An unserem Angebot Eurorad Dienstrad nehmen inzwischen über etwa 10.000 Unternehmen teil. Mit der Bike-Rate als Gehaltsumwandlung kostet das Rad den Nutzer nur noch etwa 60 Prozent des üblichen Preises – und das mit Versicherungen gegen Diebstahl und Schäden. Kurz gesagt ein kompletter Rundumschutz inklusive jeglichem Verschleiß vom ersten Tag an. Meiner Meinung nach müssen Städte auch ihre Unternehmen einbinden und sich fragen: Wofür soll unsere Stadt stehen? Für Lebensqualität und Lebensfreude? Dann gehören Pay-per-use-Mobilitätsangebote dazu.
Bleibt der Faktor Gesundheit auch nach Corona ein zentrales Argument für E-Bike-Nutzung?
Gesundheit ist ein ganz wichtiges Thema. Mehr als 80 Prozent der Menschen interessieren sich für Gesundheit. Und die Menschen werden im Schnitt immer älter. Fit im Alter ist ein ganz zentraler Aspekt. Wir haben daher mit dem Institut für Sportmedizin an der MHH, also der Medizinischen Hochschule Hannover, eine Studie erarbeitet. Dazu wurden je 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens für ein halbes Jahr mit einem E-Bike und mit einem Rad ohne E-Antrieb ausgestattet. Mit einem interessanten Ergebnis. Dies war eine Vorstudie, die dann dafür gesorgt hat, dass das Bundesministerium für Gesundheit eine belastbare Studie mit 2400 Probanden gestartet hat. Mit einem vergleichbaren Ergebnis.
Wie fiel das Ergebnis aus?
Die E-Bike-Nutzer haben sich im Schnitt fünf- bis sechsmal so viel bewegt wie die Nutzer und Nutzerinnen nicht unterstützter Räder. Dabei kamen alle E-Biker immer auf über 150 Minuten sogenannter moderater Bewegung in der Woche. Diese 150 Minuten sind die Messlatte.
Warum?
Die Weltgesundheits-Organisation WHO sagt und kommuniziert, dass eben 150 Minuten moderater Belastung pro Woche den Zeit- und Leistungsumfang darstellen, der perfekt zum Gesundbleiben, Gesundwerden beziehungsweise Fitbleiben und -werden ist. Professor Uwe Tegtbur, der Leiter des Institutes für Sportmedizin an der Uni Hannover, sagt, dass das E-Bike mehr Patienten, auch Krebspatienten, schneller zurück in die Gesundheit rehabilitiert als alle anderen Geräte auf dieser Welt. Das Ergebnis der weltgrößten Studie zum Thema E-Bike und Gesundheit, die die MHH gemeinsam mit der ZEG für das Gesundheitsministerium erarbeitet hat, kommt zu dem Resultat, dass das E-Bike Menschen in Bewegung bringt, die sich zuvor jahrelang nicht bewegt haben.
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